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Werkeinführung

 „konkrete malerei und plastik ist die gestaltung von optisch wahrnehmbaren. ihre gestaltungsmittel sind die farben, der raum, das licht und die bewegung. durch die formung dieser elemente entstehen neue realitäten. vorher nur in der vorstellung bestehende abstrakte ideen werden in konkreter form sichtbar gemacht. konkrete kunst ist in ihrer letzten konsequenz der reine ausdruck von harmonischem mass und gesetz. Sie ordnet systeme und gibt mit künstlerischen mitteln diesen ordnungen das leben.“ (Max Bill, 1949)

Stefanie Bornemann fügt auf der Grundlage strenger rationaler Ordnung und sinnlicher, leuchtender Farbe visuelle Kompositionen zusammen, die sie Codes nennt. Dazu nutzt sie ein definiertes Repertoire von Elementen – vergleichbar mit Alphabeten oder Tönen – deren Anordnung analog dazu auf einem festen Regelsystem basiert.

 

Die Elemente der Kompositionen sind feine Streifen, die sie aus Aquarellmalereien auf Papier schneidet. In lasierenden Schichten übereinandergelegt, staffeln die Farben sich von kaum sichtbarer Zartheit bis hin zu satter Tiefe. Während sie in den monochromen Streifen die Vielfalt eines Farbtons im An- und Abschwellen, im Forte und Piano auslotet, so finden sich in anderen Werken auch Akkorde mehrerer zusammenklingender Farbtöne.

Die Farbstreifen werden nun auf weißem Papiergrund zu Kompositionen gefügt, die als Solo eines Farbtons oder Zusammenspiel verschiedener Töne konzipiert sein können. Die vertikale Anordnung entspricht der Analogie zu geschriebenen sprachlichen Informationen oder auch musikalischen Partituren. Dabei entfalten sich die Farben im Raum der Papierfläche: Auch sehr zarte Nuancen erscheinen im Kontrast zum leeren Umraum präsent und nahezu räumlich, scheint die Farbe doch durch die Aquarelltechnik vom untenliegenden Weiß, der Summe aller Lichtfarben, her zu leuchten.

 

Der Rhythmus, in dem die vertikalen Streifen angeordnet werden, beruht auf dem Goldenen Schnitt (Φ = 1,618), der nicht nur in Mathematik und Kunst von uralter und ungebrochener Bedeutung ist, sondern sich auch in der Natur findet. Diese Konstante bindet die Farbelemente und den Umraum in einem festen, nicht beliebigen Verhältnis zusammen. Das System erlaubt der Künstlerin, den Inhalt dieser Codes subjektiv zu gestalten, etwa in der Wahl der Farben und im freien, intuitiven und händischen Herstellungsprozess der Aquarellmalereien.

Dieses autonome System der Farbgestaltung ermöglicht eine universell verständliche visuelle Komposition, die unmittelbar ästhetisch erfasst und zusätzlich rational nachvollzogen werden kann.  Der besondere Reiz der Bildserie liegt in der Ästhetik des genauen mathematischen Systems, das auf der besonderen Zahl basiert und in der Sinnlichkeit der Farbe zugleich.

 

(Juliane Rogge, Auszug aus Eröffnungsrede: wirklich : konkret. Stefanie Bornemann - Hartwig Kompa - Elisabeth Sonneck - Helga Weihs, Städtische Galerie Iserlohn, 21. Juni 2024)

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